EU-Wahl: Die Parteien im Check

 

Die Europäische Union beeinflusst längst nicht nur den Alltag der EU-Bürger:innen, sondern auch die Arbeit der ZT. Was in Europa passiert, ist wichtig. Neben Programmen wie dem Green Deal und dem New European Bauhaus verändern zahlreiche EU-Verordnungen und -Gesetze unsere Arbeitswelt. Deswegen engagiert sich die Bundeskammer intensivst in europäischen Berufsvertretungen. Wir wissen: Die diesjährige EU-Wahl ist richtungsweisend. Um unseren Mitgliedern eine Entscheidungshilfe zu geben, beleuchten wir hier die Positionen der Parteien zu Themen, die die Kammer und ihre Mitglieder bewegen.

Wie stellen Sie sich Europa vor? Das haben wir die österreichischen Spitzenkandidat:innen im Vorfeld der EU-Wahl gefragt - und ihnen vier Fragen geschickt. Im Folgenden finden Sie die Antworten zu den Themen:

  • Baukultur als öffentliches Interesse
  • Blue Deal
  • Qualitätsvolle Vergabe: EU-Vergaberichtlinie
  • Gemeinsamer Ausbildungsrahmen für Ingenieur:innen

1) Baukultur als öffentliches Interesse


Der Bausektor kann den Wandel unserer Gesellschaft durch eine nachhaltige Baukultur im Sinne des New European Bauhaus (NEB) entscheidend mitbestimmen. Neben der Fortsetzung der NEB-Initiative, die die baukulturelle Umsetzung des Green Deal sicherstellt, ist es essenziell, Baukultur und damit die Qualität von Planungsleistungen als öffentliches Interesse anzuerkennen. Würden Sie der ausdrücklichen Aufnahme der „Baukultur“ als öffentliches Interesse in den entsprechenden Aufzählungen der Dienstleistungsrichtlinie (Erwägungsgrund 40) zustimmen bzw. sich dafür einsetzen?

© Lopatka
  • ÖVP - Reinhold Lopatka

Das Neue Europäische Bauhaus (NEB) ist eine Initiative der EU-Kommissionspräsidentin, welche im September 2019 lanciert wurde und das Ziel verfolgt, den European Green Deal im Rahmen eines interdisziplinären und partizipativen Prozesses durch innovative Ideen und Konzepte zu unterstützen. Das NEB soll eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit durch die Förderung von Kreislaufwirtschaft sowie Bioökonomie stärken. Die Aktivitäten des NEB knüpfen als europäisches Komplementär fast nahtlos an die langjährigen Vorarbeiten unter der Bezeichnung „Baukultur“ in Österreich seit 2007 an (z.B. Beirat für Baukultur, baukulturelle Leitlinien des Bundes, erster bis vierter Baukulturreport, etc.). Es spricht daher nichts gegen eine ausdrückliche Erwähnung der NEB-Initiative im ErwGr 40 solange diese, ein Konzept entlang der drei Säulen der Nachhaltigkeit verfolgt, und damit Umwelt, wirtschaftliche und soziale Aspekte gleichermaßen berücksichtigt.

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  • SPÖ - Andreas Schieder

Die SPÖ sieht das Thema Baukultur ebenfalls eng im Zusammenhang mit einer nachhaltigen und partizipativen Stadtentwicklung, an der viele Akteur*innen interdisziplinär mitwirken und die wir als gesellschaftlich bedeutende Aufgabe mit vielen Dimensionen erachten. Ihr Vorschlag zielt darauf ab, die Baukultur stärker ins Bewusstsein europäischer Entscheidungsträger*innen zu bringen und – wie Sie schreiben – „die Qualität von Planungsleistungen als öffentliches Interesse“ anzuerkennen. Erwägungsgrund 40 der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt beinhaltet bereits den „Schutz der Umwelt und der städtischen Umwelt einschließlich der Stadt- und Raumplanung“ in der taxativen Aufzählung der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses. Das Wettbewerbsrecht der EU, und die Richtlinie 2006/123 EWG ist ein zentraler Teil dessen, regelt im Wesentlichen ja Ausnahmetatbestände für die Zulässigkeit von staatlichen Beihilfen. „Baukultur und die Qualität von Planungsleistungen“ in diesem Regelwerk abzubilden, wäre ein rechtlich schwieriges Unterfangen, da wir hier von einem breiten, interdisziplinären Prozess zur Gestaltung der gebauten Umwelt reden, der zwar auf das Allgemeininteresse ausgerichtet ist, aber nicht wirklich über das Beihilfenrecht erfasst werden kann.

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  • FPÖ - Harald Vilimsky

Nein. Die Idee der EU-Kommission sich mit einem eigenen Baustil kulturell verewigen zu wollen, als einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses zu definieren, werden wir nicht mittragen. Zum einen gibt es nachvollziehbare Gründe warum die Dienstleistungsrichtlinie nicht auf Baunormen Anwendung findet, und daher auch „Baukultur“ nicht im Anwendungsbereich liegen kann. Zum anderen sind supranationale Maßnahmen zur kulturellen Harmonisierung aufgrund der fehlenden Zuständigkeit und Notwendigkeit grundsätzlich abzulehnen. 

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  • Die Grünen - Lena Schilling

Gute Baukultur ist eine zentrale Zukunftsaufgabe und ein notwendiger Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise und Ressourcenschonung. In Österreich wurde die konsequente Anwendung von baukulturellen Kriterien beschlossen. Die Implementierung der Ziele des NEB auf EU-Ebene soll weiter forciert werden und u.a. im Rahmen der Dienstleistungsrichtlinie stärker berücksichtigt werden (z.B. in EG 40).

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  • NEOS - Helmut Brandstätter

NEOS setzen sich für die Klimaneutralität ein. Wir unterstützen Lösungen, die Design, Nachhaltigkeit & Bezahlbarkeit verbinden, Projekte der grünen Transformation und die Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten und der NEB-Prinzipien in der Gesetzgebung. Durch die explizite Erwähnung von Stadt- und Raumplanung ist der Baukultur Rechnung getragen.

2) Blue Deal


Ziviltechniker:innen arbeiten täglich an der Sicherheit von Trink-, Brauch-, Regen-, und Abwasser. Der verantwortungsvolle Umgang mit der Ressource Wasser ist von höchster gesellschaftlicher Bedeutung, und wurde bisher als Teil des Green Deal geregelt. Würden Sie die Einrichtung eines eigenen Blue Deals (dies ist eine aktuelle Forderung des EESC) unterstützen? Und wenn ja, wie?

© Lopatka
  • ÖVP - Reinhold Lopatka

Wasser ist eine lebenswichtige, aber zunehmend knappe Ressource. Hier muss auch die Europäische Union tätig werden und Taten setzen, um diese wertvolle Ressource zu schützen. Grundsätzlich ist also der Ruf nach einem European Blue Deal zu begrüßen. Man muss allerdings genau schauen wie dieser schlussendlich ausgestaltet werden könnte. Auch im Europäischen Parlament werden Rufe nach einem Blue Deal lauter, ich werde mir das genau ansehen und mich dort wo es geht konstruktiv einbringen. 

© SPÖ
  • SPÖ - Andreas Schieder

Die SPÖ sieht die Bedeutung der Ressource Wasser und unterstützt die Überlegungen, die seitens des EWSA für einen „Blue Deal“ vorgelegt wurden. Wir haben uns im Europäischen Parlament intensiv mit diesen Fragen befasst; v.a. im Zusammenhang mit der Richtlinie zur Behandlung des kommunalen Abwassers, hier haben wir eine stärkere Herstellerverantwortung eingefordert. Unser Wahlprogramm sagt ganz deutlich, dass Wasserquellen nicht an private­ Investoren verkauft werden dürfen, Grundwasser nicht eigentumsfähig sein darf und wir sehen insgesamt die Liberalisierung bei der Wasserversorgung höchst kritisch. Wir werden uns daher auch dafür einsetzen, dass die Ausnahme für Wasser bei Konzessionsrichtlinie 2014/23/EU aufrecht bleibt. In diesem Zusammenhang dürfen wir auch auf unser kürzlich vorgestelltes Maßnahmenpaket für eine sichere Trinkwasserversorgung in Österreich verweisen, das auch europäische Bezüge („Blue Deal“, Umsetzung der EU-Richtlinie zur Trinkwasserversorgung) aufweist: LINK

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  • FPÖ - Harald Vilimsky

Nein. Die Versorgung mit hochwertigem Wasser funktioniert in Österreich problemlos. Bei der Trinkwasserrichtlinie waren zum Beispiel Werte so übertrieben, dass es österreichische Wassergenossenschaften nicht mehr hätten stämmen können und man Aufbereitungsanlagen gebraucht hätte, um diesen EU-Standards gerecht zu werden. Der Themenbereich Trinkwasser ist zu wichtig, als dass Brüssel ihn regulierten sollte.

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  • Die Grünen - Lena Schilling

Die Grünen unterstützen die Blue Deal Initiative. Auf lokaler Ebene setzen wir uns z.B. ganz konkret für Regenwassermanagement ein. Das hilft, Trinkwasser zu sparen. Und Dachwässer zu nutzen hilft, Starkregenereignisse besser in den Griff zu bekommen. Wir setzen uns dafür ein, dass im geförderten Wohnbau ein separates Brauchwassersystem zum Standard wird. Auch eine Verankerung in den Bauordnungen ist erstrebenswert.

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  • NEOS - Helmut Brandstätter

Selbstverständlich unterstützen NEOS Initiativen zum verantwortungsvollen Umgang mit Wasser. Eine nachhaltige EU-Wasserpolitik muss auf die Auswirkungen des fortschreitenden Klimawandels, wie vermehrte Trockenperioden, ausgerichtet sein und beispielsweise Wasserverluste aufgrund von Leckagen in Netzen europaweit erheblich reduzieren. Wir sehen den Green Deal als übergeordnete Strategie und eine Ausgliederung einzelner Themenbereiche derzeit nicht für notwendig. 

3) Qualitätsvolle Vergabe: EU-Vergaberichtlinie


Die Qualität der Vergabeprozesse iZm der Vergabe von Planungsleistungen ist in der Praxis eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Erreichung der Ziele des New European Bauhaus und des Green Deals sowie für die Sicherheit unserer gebauten Umwelt. Verfahren, die innovative, nachhaltige und baukulturell hochwertige Planungslösungen sicherstellen, müssen rechtlich und praktisch forciert werden. Wie würden Sie die Förderung der qualitätsbasierten Auswahl von geistigen Dienstleistungen sicherstellen? Würden Sie einem Textvorschlag der Europäischen Kommission zur Einrichtung eines eigenen Kapitels für geistige Dienstleistungen in der EU-Vergaberichtlinie zustimmen bzw. sich, wenn nötig, für die Ergänzung eines entsprechenden Textvorschlages (Einbringung Änderungsantrag) einsetzen?

© Lopatka
  • ÖVP - Reinhold Lopatka

Die Forderung halte ich für wichtig. Man müsste sich den Gesetzestext genau ansehen, im Detail bewerten und ggf. Änderungsanträge einbringen.

© SPÖ
  • SPÖ - Andreas Schieder

Aus unserer Sicht besteht bereits ein rechtlicher und praktischer Rahmen für eine qualitätsbasierte Auswahl. Das Vergaberecht, das nur einen Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten mit Bedeutung für innovative, nachhaltige und baukulturell hochwertige Planungslösungen erfasst, wäre unserer Meinung nach nicht geeignet. Wir sehen hier vor allem Leitlinien, die den Mitgliedsstaaten einen Rahmen für eine nachhaltige Stadtentwicklung im Sinne des Gemeinwohls anbieten, wie sie in der Neuen Leipzig-Charter von 2022 ausgeführt sind, als zielführend. Diese können auf lokaler und regionaler Ebene in allgemeine Planungsvorgaben übersetzt und mit Instrumenten hinterlegt werden.

© FPÖ
  • FPÖ - Harald Vilimsky

Das hängt von dem Inhalt eines konkreten Kommissionsvorschlages ab. Wir warnen aber davor, dass die EU-Kommission nach einer planwirtschaftlichen Agenda handelt und die derzeitigen utopischen Ziele des Green Deals voranbringt. Gerade im Rahmen der Gebäudeeffizienzrichtlinie, drohen immense Kosten und bürokratischen Hürden.

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  • Die Grünen - Lena Schilling

Wichtig ist, dass die Qualität unserer gebauten Umwelt in allen Entwicklungsphasen, insbesondere in der entscheidenden Planungsphase eines Vorhabens ausreichend Berücksichtigung erfahren kann. Das geltende Vergaberecht sieht grundsätzlich Möglichkeiten für öffentliche Auftraggeber vor, die Besonderheiten geistiger Dienstleistungen zu berücksichtigen. Eine noch weitergehende Berücksichtigung könnte im Rahmen einer Änderung der EU-Vergaberichtlinie erfolgen, die Zustimmung hängt von einem konkreten Textvorschlag ab.

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  • NEOS - Helmut Brandstätter

Wir sehen bei Vergabeprozessen Schwierigkeiten in der Umsetzung wegen der Auswahl zwischen Best- und Billigstbieterprinzip. Eine Integration der Qualität von geistigen Dienstleistungen ist begrüßenswert, aber mit Herausforderungen verbunden. Wichtig wäre die Berücksichtigung der nationalen Baugeschichte in internationalen Vergabeverfahren.

4) Gemeinsamer Ausbildungsrahmen für Ingenieur:innen


Für die Bewältigung der Herausforderungen, mit denen unsere Gesellschaft derzeit konfrontiert ist, ist das Fachwissen von mobilen und gut ausgebildeten Ingenieur:innen dringend erforderlich – insbesondere angesichts des derzeitigen Ingenieurmangels. Die Umsetzung eines sogenannten „Gemeinsamen Ausbildungsrahmens“ (Common Training Framework, CTF) für (Bau)Ingenieure – wie in Art. 49a der Berufsanerkennungsrichtlinie definiert – der auf gemeinsamen Anforderungen für die Ausbildung von Bauingenieuren beruht, ist wichtig, um die Mobilität von Bauingenieur:innen erfolgreich zu fördern und sicherzustellen, dass Verbraucher/Auftraggeber und Behörden auf die Qualität von Bauingenieurleistungen in ganz Europa vertrauen können. Der Gemeinsame Ausbildungsrahmen ermöglicht eine „automatische“ Anerkennung, wie sie im Bereich der Architekturdienstleistung schon lange erfolgreich gelebt wird. (Wie) würden Sie sich für einen delegierten Rechtsakt der Kommission, der den Gemeinsamen Ausbildungsrahmen ermöglicht, einsetzen?

© Lopatka
  • ÖVP - Reinhold Lopatka

Einen Gemeinsamen Ausbildungsrahmen, der die Qualität von Bauingenieurleistungen europaweit sicherstellt, achte ich als sinnvoll. Wichtig ist dabei aber immer, dass auf die Bedürfnisse der jeweiligen Mitgliedsstaaten Rücksicht und Bezug genommen wird.

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  • SPÖ - Andreas Schieder

Wir begrüßen Programme, die geeignet sind, mehr Menschen für jene Berufe zu mobilisieren, die wir für eine nachhaltige und kreislauforientierte Wirtschaft und Gesellschaft, v.a. für die Umsetzung der Klimaziele in vielen Bereichen, benötigen. In dem Zusammenhang sind uns auch Maßnahmen wichtig, die insbesondere Mädchen und junge Frauen stärker für MINT-Berufe begeistern, wie der „Wiener Töchtertag“ oder gezielte Programme von Unternehmen und arbeitsmarktpolitischen Einrichtungen. Hier ist für uns zentral, die Möglichkeiten der EU-Kohäsionspolitik stärker für solche Projekte und Maßnahmen ansprechen zu können, genauso wie wir darauf drängen, dass in Österreich selbst endlich die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Betreuungspflichten verbessert werden müssen. Ebenso müssen dazu, auch darauf hat das WIFO hingewiesen, Fachkräfte aus Drittstaaten angeworben werden, um die Herausforderungen des demographischen Wandels im Hinblick auf den Wirtschaftsstandort Österreich – ebenso wie in der gesamten EU – zu bewältigen.

© FPÖ
  • FPÖ - Harald Vilimsky

Wie Ihnen sicher bewusst ist, ist das Europäische Parlament in die inhaltliche Ausarbeitung delegierter Rechtsakte (DA) der EU-Kommission nicht eingebunden, und auch formell werden diese DA ohne parlamentarische Mitwirkung alleine durch die Kommission verabschiedet. Falls der Inhalt des DA zufriedenstellend ist, kann ich mir vorstellen keinen Einwand gegen den DA zu erheben.

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  • Die Grünen - Lena Schilling

Wir unterstützen gerne wie auch bei Architekt:innen die Aufnahme in den „Gemeinsamen Ausbildungsrahmens“ (Common Training Framework, CTF) für Bauingenieur:innen im Rahmen eines Studiums an einer österreichischen Bildungseinrichtung des tertiären Sektors mit dem Zusatz wie dieser für Architekt:innen im CTF formuliert ist. (Bescheinigung des BMBW über die Erfüllung der Voraussetzung für die Eintragung in die Architektenkammer…)

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  • NEOS - Helmut Brandstätter

NEOS tritt für Bildungsfreizügigkeit als "5. Grundfreiheit" der EU ein. Dazu zählt auch die automatische Anerkennung von Bildungsabschlüssen und beruflichen Qualifikationen. Im Rahmen unserer EU-Fraktion "Renew Europe" setzen wir uns dafür ein, den einst mit dem Erasmus-Programm begonnenen Weg fortzusetzen und zu vertiefen, um die Bildungsfreizügkeit vollständig zu verwirklichen. Das betrifft selbstverständlich auch das Bauingenieurwesen, das europaweit von großer Bedeutung für die Bewältigung des Klimawandels und anderer Herausforderungen ist.