Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat das bindende Preisrecht der "Honorarordnung für Architekten und Ingenieure" (HOAI) in Deutschland zu Fall gebracht. Der Gerichtshof begründet seine Entscheidung mit der 2006 verabschiedeten EU-Dienstleistungsrichtlinie. Gemäß dieser Richtlinie soll in einem freien europäischen Binnenmarkt der Wettbewerb grundsätzlich auch über den Preis möglich sein. Etwas anderes gilt nur, wenn das verbindliche Preisrecht zwingend erforderlich ist, um höherrangige Güter wie Leben oder Gesundheit zu schützen und keine andere gelindere Maßnahme zur Verfügung steht, die dasselbe Ziel erreichen würde.

Die deutsche Bundesregierung hatte dargelegt, dass eine verbindliche Honorarordnung für Architekten- und Ingenieurleistungen genau diese Anforderungen erfüllt und somit ein wichtiger Bestandteil einer ganzen Reihe qualitätssichernder Regelungen ist.
Die europäischen Richter bestätigen, dass die Qualität der Dienstleistung und der Erhalt der Baukultur und des ökologischen Bauens tatsächlich zwingende Gründe des Allgemeininteresses sind, die eine Einschränkung des Binnenmarktes rechtfertigen können und dass auch Mindestsätze für Planungsleistungen unter gewissen Umständen geeignet sein können die oben genannten Ziele sicherzustellen. In Deutschland sei dies aber nicht der Fall, weil die Erreichung der Ziele nicht in kohärenter und systematischer Weise umgesetzt werde: Die Erbringung von Planungsleistungen sei nicht Personen in reglementierten Berufen vorbehalten, so dass es auch mit HOAI keine Garantie gebe, dass die Planungsleistungen von Dienstleistungserbringern erbracht würden, die ihre entsprechende fachliche Eignung nachgewiesen hätten.

Dass der EuGH nicht nur die Ziele der Qualität der Arbeiten und des Verbraucherschutzes als zwingende Gründe des Allgemeininteresses anerkennt, sondern auch den Erhalt der Baukultur und des ökologischen Bauens ist als positiv zu werten.

Man muss berücksichtigen, dass das Urteil nur bedingt auf die österreichische Rechtslage umzulegen ist. Das Urteil betrifft nur die Dienstleistungs-Richtlinie und beschäftigt sich nur damit, ob die Dienstleistungsfreiheit durch die HOAI verletzt wird. Die Frage der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Honorarordnungen wird jedoch nicht behandelt. Anders als die früheren österreichischen Honorarleitlinien ist die HOAI eine staatliche Verordnung und somit kartellrechtlich unproblematisch. Das Kartellrecht verbietet es jedoch nach wie vor, dass eine Kammer (als Unternehmensverband) Honorarleitlinien veröffentlicht, selbst wenn es sich nur um unverbindliche Honorarempfehlungen handelt.

Besonders die ausdrückliche Anerkennung des möglichen Zusammenhangs von Preisgestaltung und Dienstleistungsqualität/Bauqualität und der Hinweis auf die Möglichkeit von Preisorientierungen für Kunden könnten als politisches Argument für die Forderung eingesetzt werden, dass z.B. Staaten oder öffentliche Auftraggeber derartige Preisorientierungen herausgeben. In Österreich könnte es auch erleichtern, mit öffentlichen Auftraggebern Vereinbarungen über die Vergütung von Leistungen zu schließen. Honorarempfehlungen durch die Kammer bleiben jedoch unzulässig.

ArchitektInnen und IngenieurInnen in Österreich und Europa haben vielfach ihre Solidarität mit der deutschen Bundesregierung sowie den Kammern und Verbänden der ArchitektInnen und IngenieurInnen in Deutschland bekundet. So haben der Architects‘ Council of Europe (ACE) und der European Council of Engineers Chambers (ECEC) im Mai, als das Urteil durch den Schlussantrag des Generalanwalts bereits absehbar war, mit gleichlautenden Stellungnahmen Partei ergriffen.